Derzeit wird zwischen den USA und der Europäischen Union das neue Abkommen für eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft ausgehandelt. Unter der Abkürzung TTIP (nach englisch: Transatlantic Trade and Investment Partnership) sorgt es in den Medien für Furore – vor allem deshalb, weil sich die Kritiker lautstark zu Wort melden. Frank Schlößer vom BDS in Rostock traf Dr. Heinz Hetmeier, Leiter des Referates Handelspolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zum Interview.
BDS-MV: Dr. Heinz Hetmeier, die öffentliche Diskussion um TTIP wird derzeit von den Kritikern geprägt: Viele Nichtregierungsorganisationen (NGO) haben zu Petitionen aufgerufen, um TTIP zu verhindern. Ist da in der Kommunikation der EU-Kommission was schief gelaufen?
Dr. Heinz Hetmeier: Die Kommunikation zu TTIP ist nicht rechtzeitig in Gang gekommen. Das hat mittlerweile auch die EU-Kommission erkannt. Dabei ist TTIP genau so verhandelt worden wie die Kommission viele andere Freihandelsabkommen zuvor verhandelt hat. Es gab auch Berichterstattung über die Zielsetzung des Abkommens, es war also grundsätzlich bekannt. Zum Beispiel wurde über die Bildung der strategischen Arbeitsgruppe, die diese Verhandlungen vorbereitet hat, schon 2011 in der Presse berichtet – zumindest in der Fachpresse. Das Thema ist aber nicht in die breite Öffentlichkeit transportiert worden, weil Handelsabkommen damals einfach nicht im Zentrum öffentlichen Interesses standen. Aber wer wollte, der konnte schon vor Jahren von den TTIP-Verhandlungen wissen. Natürlich kann, darf und soll man über TTIP demokratisch und breit diskutieren. Dass zahlreiche Kritiker – vor allem Campact – effektive, aber leider nicht sachorientierte Kampagnen gegen TTIP führen und unbegründete Ängste bei den Menschen schüren, ist nicht zielführend. Um hier zu informieren und auch Interessenvertreter wie etwa die Kommunen, die ja nicht mit am Verhandlungstisch sitzen, einzubinden, hat Bundeswirtschaftsminister Gabriel einen TTIP-Beirat eingerichtet. Darin sind alle wichtigen Gruppen vertreten – von den Kirchen über Verbraucherschützer bis hin zu Gewerkschaften und kommunalen Spitzenverbänden. Im Beirat können diese Gruppen Argumente austauschen und sich einbringen.
BDS-MV: Campact postet aber ziemlich schlüssige und leicht verständliche Erklär-Videos auf Facebook.
Dr. Heinz Hetmeier: Dort werden zuerst, meist leider falsche, Vermutungen formuliert, aus denen dann vermeintliche Gefahren abgeleitet werden um zu sagen: Deshalb darf TTIP nicht kommen. Das mag einfach ausgedrückt oder schlüssig und anschaulich festgehalten sein, entspricht aber dennoch nicht der Realität. So wird beispielsweise immer wieder die Angst geschürt, dass durch TTIP amerikanische Chlorhühnchen auf den europäischen Markt kämen – doch das ist nicht der Fall. Auch die Sorge, dass unsere Standards durch TTIP abgesenkt werden, ist unbegründet. Denn die EU wird keines ihrer grundlegenden Gesetze zum Schutz von Menschen, Tieren oder Umwelt aufheben. Die EU-Kommission hat ihre klare Strategie und auch das Verhandlungsmandat der EU-Staaten an die EU-Kommission sagt eindeutig: Keine Absenkung von Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.
BDS-MV: Ein anderer wichtiger Kritikpunkt ist, dass unabhängige Schiedsgerichte im Bereich des Investitionsschutzes Entscheidungen fällen, die mit der Rechtsprechung der Länder nichts mehr zu tun haben.
Dr. Heinz Hetmeier: Deutschland hat derzeit rund 130 bilaterale Investitionsschutz-Abkommen. Die enthalten Regelungen zum Investitionsschutz; Investor-Staat-Schiedsverfahren wurden ab den 80er Jahren installiert. Sie sollen helfen, Investitionsstreitigkeiten auf rechtlichem, also „nicht politischem“ Weg zwischen Staaten beizulegen. Alle Abkommen wurden auf der Grundlage völkerrechtlicher Verträge eingeführt, die durch den Deutschen Bundestag bestätigt wurden. Deutsche Unternehmen haben oftmals ein Interesse an solchen Verträgen, die ihre Investitionen im Ausland schützen. Was Deutschland betrifft: Auf der Basis dieser Abkommen hat es bisher nur drei Verfahren gegen Deutschland gegeben. Damit solche Verfahren künftig nach rechtsstaatlichen Grundsätzen und transparenter für die Öffentlichkeit geführt werden, ist es gut und wichtig, dass Minister Gabriel neue Vorschläge in die Diskussion gebracht wie insbesondere die Einführung eines internationalen Handelsgerichtshofs.
BDS-MV: Wann wird TTIP überhaupt beschlossen? Und wie?
Dr. Heinz Hetmeier: Über TTIP müsste, wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind, zunächst der Ministerrat der EU beschließen, daneben ist die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich. Weil TTIP ein gemischtes ‚Abkommen sein wird, müssen auch die Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten beschließen, also auch der Deutsche Bundestag. Wir wollen natürlich einen schnelles Vorankommen und einen zügigen Abschluss der Verhandlungen, denn dieses Abkommen bringt der Exportnation Deutschland viele Chancen und Vorteile. Erfahrungsgemäß dauert das aber länger als gedacht und die – durchaus sinnvollen und notwendigen – öffentlichen Diskussionen werden die Verhandlungen bestimmt nicht beschleunigen. Meine Schätzung ist, dass TTIP uns noch etliche Zeit beschäftigen wird.
BDS-MV: Ein weiteres Argument gegen TTIP ist, dass dieses Abkommen nur den großen Unternehmen nützt. Was haben denn die kleinen und mittelständischen Betriebe von TTIP?
Dr. Heinz Hetmeier: TTIP ist eigentlich für die kleineren und mittleren Unternehmen gedacht. Die großen Unternehmen – Siemens, Daimler, VW, BASF – machen seit vielen Jahren in den USA erfolgreiche Geschäfte. Weil sie dort auch eigene Produktionsstätten unterhalten oder Tochterfirmen gründen. Mit ihren Rechtsabteilungen sind sie in der Lage, das Unternehmensgeschäft auf die Anforderungen vor Ort anzupassen. Die kleineren Unternehmen können das häufig nicht. Sie haben entweder keine Rechtsabteilung oder zahlen manchmal hohe Zölle auf kleine Exportstückzahlen und müssen zu hohe Hürden bewältigen, wenn es um Produktzulassungen geht. Gerade für diese mittelständischen Unternehmen ist es wichtig, dass mit TTIP zum Beispiel technische Normen anerkannt werden und der Export vereinfacht wird, das spart Kosten, Arbeitszeit und bürokratischen Aufwand und sichert damit auch Arbeitsplätze in Deutschland.
BDS-MV: Welche Branchen in Mecklenburg-Vorpommern werden von TTIP profitieren?
Dr. Heinz Hetmeier: Zum Beispiel sehen wir für die Werften-Zulieferindustrie durchaus eine Verbesserung der Geschäftsmöglichkeiten in den USA. Der Agrarsektor ist auch interessant: Milch und verarbeitete Milchprodukte sind in den USA gefragt, aber derzeit noch mit hohen Importzöllen belegt. Wenn die abgebaut werden, ergeben sich am US-Markt Chancen für Produzenten aus Mecklenburg-Vorpommern.
BDS-MV: Auch mit biologisch-dynamischen Produkten aus Mecklenburg-Vorpommern?
Dr. Heinz Hetmeier: Auf jeden Fall. Das Bewusstsein für ökologisch erzeugte Lebensmittel wächst gerade in den USA rasant, die Nachfrage wächst. Es gibt auch schon ein Abkommen mit den USA über die gegenseitige Anerkennung von Standards für Bio-Produkte. Wenn man das bei den TTIP-Verhandlungen noch ausweiten kann, ergeben sich auch in der Bio-Branche noch bessere Exportmöglichkeiten.
BDS-MV: Andersrum würden ja gentechnisch veränderte oder hormonbehandelte Lebensmittel aus den USA in unserer Gastronomie und in den Supermarkt-Regalen landen. Gibt‘s dann Chlor-Broiler?
Dr. Heinz Hetmeier: Chlorhühnchen und Hormonfleisch werden auch mit TTIP außen vor bleiben, dafür wird es keine Importzulassung geben. Das ist die klare Verhandlungslinie der EU-Kommission. Die EU-Standards, die derzeit für Lebensmittel angelegt werden, gelten weiter. Zur Chlorhuhn-Aufregung gehört allerdings auch zur Wahrheit, dass auch in der EU und in Deutschland Lebensmittel mit einer chlorhaltigen Lösung von Keimen befreit werden. Darüber hat sich noch nie jemand aufgeregt und ein Geschmack nach Chlor ist auch noch nie jemandem aufgefallen. Auch hier rate ich zur Sachlichkeit.
BDS-MV: Sind die USA auch für die wachsende Branche der erneuerbaren Energien ein Exportmarkt?
Dr. Heinz Hetmeier: In der Perspektive durchaus. Unsere Technologien, zum Beispiel im Bereich Windenergie sind weit entwickelt. Das ist in den USA nach meinem Eindruck noch nicht der Fall. Wenn also die USA den ökologischen Umbau ihrer Energiebranche in Angriff nehmen, haben Hersteller aus Deutschland mit unseren Erfahrungen aus der Energiewende sehr gute Marktchancen.
BDS-MV: Können sich deutsche Unternehmen für öffentlich ausgeschriebene Aufträge in den USA bewerben?
Dr. Heinz Hetmeier: Derzeit nicht, das ist deshalb auch ein wichtiger Verhandlungspunkt in den TTIP-Verhandlungen. Andersrum schreibt das deutsche Recht vor, dass ausländische Firmen bei Auftragsausschreibungen des Bundes, der Länder oder der Kommunen nicht diskriminiert werden dürfen. In den USA ist dagegen vielfach vorgeschrieben, dass die Beschaffungsstellen US-Produkte kaufen müssen, also das berühmte „Buy American“. Das muss sich unserer Ansicht nach mit TTIP ändern, denn dann könnten am US-Beschaffungsmarkt, zum Beispiel in der Baubranche oder im Transportgeschäft, wettbewerbsfähige EU-Firmen manchen Auftrag an Land ziehen.
BDS-MV: Wie wirkt sich TTIP auf die Tourismusbranche aus?
Dr. Heinz Hetmeier: TTIP wird sich auf diesen Markt wohl kaum auswirken. Wir haben ja derzeit keine Zugangshemmnisse für touristische Aktivitäten – in beiden Richtungen. Wenn Sie in Zukunft mehr Touristen aus den USA hierher locken können, dann hat das eher mit Ihrer wundervollen Urlaubsregion und Ihren hervorragenden Angeboten zu tun als mit TTIP.
BDS-MV: Dem Tourismus könnte das Öl-Fracking in Mecklenburg-Vorpommern ein schnelles Ende bereiten. Eine deutsch-kanadische Firma hat ja erfolgreiche Probebohrungen durchgeführt. Was wird, wenn Ölfirmen aus den USA mit Fracking auf dieses Öl zugreifen wollen?
Dr. Heinz Hetmeier: Das kann nicht passieren. Ob und wie Fracking zugelassen wird in Mecklenburg-Vorpommern oder Deutschland – das unterliegt deutschem Recht und das bleibt auch so. Die neuen Regelungsentwürfe, die Wirtschaftsminister Gabriel gemeinsam mit Umweltministerin Hendricks vorgelegt haben, sehen keine Zulassung von unkonventionellem Fracking und auch im konventionellen Bereich strenge Anforderungen wie weitreichende Ausschlussgebiete vor. Daran müssen sich auch Unternehmen aus dem Ausland halten. Außerdem können sich Investoren nicht für Aktivitäten einklagen, die sie noch gar nicht begonnen haben. Es gibt keinen Investitionsschutz für den Marktzugang. Die Befürchtungen, die da in die Welt gesetzt wurden, sind unbegründet. Und eine Gefahr für den Tourismus sehe ich daher überhaupt nicht.
BDS-MV: Mecklenburg-Vorpommern hat bundesweit eine relativ hohe Arbeitslosigkeit. Wie wird sich diese Situation mit TTIP verändern?
Dr. Heinz Hetmeier: Chancen für den Arbeitsmarkt bieten sich bestimmt. Auch Untersuchungen gehen von einem positiven Effekt auf den deutschen Arbeitsmarkt durch TTIP aus. Ich würde aber keine Prognose wagen, wie und in welchem Umfang sich TTIP auf den Arbeitsmarkt in Mecklenburg-Vorpommern auswirkt. Deutschland lebt vom Export, der Arbeitsmarkt stützt sich auf Branchen mit hohem Export-Anteil. TTIP wird den Export erleichtern, das belebt diese Branchen. Aber da spielen auch andere Faktoren eine Rolle – wir müssen schließlich auch einer ungünstigen demografischen Entwicklung entgegensteuern. Also: TTIP wird eine positive Rolle auf dem Arbeitsmarkt spielen. Wie groß die Auswirkungen tatsächlich sind, wird aber schwer zu messen sein.
BDS-MV: Der Bund der Selbständigen vertritt viele kleine Unternehmen und Einzelkämpfer. Werden die etwas von TTIP spüren? Werden die offenen Märkte in den USA für BDS-Mitglieder erreichbar sein?
Dr. Heinz Hetmeier: Für sehr kleine Unternehmen und Einmann-Betriebe bleiben die Markteintrittsbarrieren, zum Beispiel die Informationshürden, sicher weiterhin sehr hoch. Aber für Architekten und Ingenieure, die in den USA tätig werden wollen, könnte es leichter werden, wenn die USA und die EU mit TTIP beschließen, sich gegenseitig die Berufsqualifikationen anzuerkennen. Kleine Softwareschmieden können auch erfolgreich sein, aber da ist die Konkurrenz in den USA natürlich groß. Grundsätzlich gilt für die TTIP-Debatte: Es gibt harte Verhandlungen zweier starker Partner, der EU und den USA, mit dem gemeinsamen Ziel, für beide Seiten eine Win-Win-Situation zu schaffen. Wir achten dabei sehr genau darauf, dass den Bedenken Rechnung getragen werden und die Chancen gerade für die exportstarke deutsche Wirtschaft genutzt werden.
BDS-MV: Dr. Heinz Hetmeier, danke für das Gespräch.