Szenarien für eine Welt im Umbruch
05.11.2015 – Rede von Jean-Claude Juncker beim Wirtschaftstag der Volksbanken Raiffeisenbanken „Wohlstand “ – Freiheit – Sicherheit
Quelle: EU-Kommission Rede von Jean-Claude Juncker
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr verehrter Herr Präsident, meine Herren Abgeordneten, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Ich bin zum dritten Mal hier; 2004 und 2010 als luxemburgischer Premierminister und jetzt als Präsident der Europäischen Kommission. Normalerweise ist das so, dass man jede Rede vor erlauchtem Publikum mit dem Satz beginnen muss, dass man froh ist, da zu sein. Das stimmt im Regelfall nicht. Hier aber stimmt es, ansonsten wäre ich nicht zum dritten Mal und, wie ich hoffe, nicht zum letzten Mal, Ihr Gast. Ich bin übrigens dankbar dafür, dass ich rechtzeitig landen konnte, weil ab morgen wird gestreikt. Es spricht für die Weitsicht der Volksbanken und Raiffeisenkassen, dass sie dafür gesorgt haben und dass erst ab morgen gestreikt wird und ich heute also rechtzeitig hier landen konnte. Nun hat man mir bedeutet, ich weiß nicht mehr genau wer, mir stünden zehn Minuten für diesen Einführungsvortrag zur Verfügung. Das ist genau die Zeitachse, auf der ich mich bewege während des ersten Teiles der vorläufigen Einführung zu meinem Referat. Wer denkt, in zehn Minuten könne man Substanzielles sagen, der irrt sich. Ich werde es trotzdem versuchen.
Ich bin nicht jemand – möchte jedenfalls nicht jemand sein, möchte auch den Eindruck nicht geben – der anderen Leitlinien vorgibt. Aber einiges Umrahmendes muss man sagen, wenn es um Europa und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geht. Ich habe mir vorgenommen, als ich Kommissionspräsident wurde, die Dinge zu ändern, nicht weil ich mich für übermäßig talentiert fände, um Neues in die Wege zu leiten, aber weil ich den Eindruck hatte, die alten Wege, die führen nicht mehr zum Ziel. Der Graben zwischen der öffentlichen Meinung, in allen unseren Mitgliedsstaaten und der Politik in Europa – das Gleiche gilt für die Politik in den Mitgliedsstaaten – wird immer breiter und immer tiefer und man muss diesen Graben schließen, ansonsten befinden wir uns auf gefährlichem Kurs. Um dies zu tun, hat die Europäische Union es für gut und richtig befunden, die Art und Weise, wie ein Kommissionspräsident ernannt wird, zu ändern. Die großen politischen Familien in Europa sind mit Spitzenkandidaten zur Wahl angetreten und deshalb bin ich eigentlich der erste, direkt gewählte Präsident der Europäischen Kommission. Ich weiß das bin aber nicht sicher, ob die Bürger in allen Ländern der Europäischen Union das auch mitgekriegt haben.
Aber nächstes Mal, wenn dieses Experiment sich zum zweiten Mal wiederholt, dann werden die Menschen verstehen, dass europäische Demokratie – die gibt es nämlich – nicht abseits der normalen Spielregeln stattfindet, sondern dass sie die Art und Weise darstellen, wie Demokratie sich in Europa organisiert. Ich war stets der Auffassung, dass die Europäische Kommission, deren Wichtigkeit ich hier nicht zu unterstreichen brauche – falls jemand daran zweifeln sollte, stehe ich gerne zu einfachen Antworten bereit -, sich in den letzten Jahren viel zu viel um Dinge gekümmert hat, von denen es besser gewesen wäre, sie hätte sich nicht darum gekümmert. Ich bin der Auffassung, dass die Europäische Kommission und mithin die Europäische Union oder die Europäische Union und mithin die Kommission sich um die großen Probleme unserer Zeit kümmern sollte und sich nicht im Klein-Klein verlieren sollte; sich nicht in das alltägliche Tun und Lassen der Menschen einmischen sollte, sondern die großen Themen namhaft machen sollte und sich mit diesen großen Themen beschäftigen sollte. Die Kommission und die Europäische Union sollen groß sein in großen Dingen, und bescheiden und zurückhaltend sein in kleinen Dingen. Wir sind nicht da, um den Menschen auf die Nerven zu gehen. Wir sind da, um die großen Zukunftsprobleme zu benennen und sie, soweit das geht, zu lösen. Deshalb bin ich nicht jemand, der bereit ist, sich mit jedem Mückenschiss auf der europäischen Gardine zu beschäftigen, sondern ich hätte gerne saubere Gardinen, so dass man den Durchblick hat, wenn es um Europa geht.
Die großen Themen haben wir benannt – bei meiner Bewerbungsrede im Europäischen Parlament, indem wir zehn Prioritäten für das Tun und auch Lassen der Europäischen Kommission benannt haben. Es ging uns zuerst einmal um bessere Regulierung – better regulation, wie das auf Neudeutsch heißt – in Europa. Deshalb hat die Kommission, der ich vorstehe, letztes Jahr und auch dieses Jahr ein genaues ’screening‘ gemacht, um in Hochdeutsch weiter zu machen, viele Richtlinienvorschläge zurückgezogen. Und deshalb haben wir im Gegensatz zu den früheren Kommissionen nicht 130 neue Initiativen angekündigt, sondern nur 23 neue Initiativen angekündigt – sich konzentrieren auf die wichtigen Dinge, das bei Seite lassen, was störend wirkt und das in keinerlei Hinsicht europäischen Fortschritt bedeutet. Deshalb sind wir zur Auffassung gelangt, dass das eigentliche Thema in Europa Wachstum und Arbeitsplätze sind, und genau deshalb haben wir relativ schnell nach Amtsantritt einen Investitionsplan von Euro 315 Mrd. mit Hilfe des Europäischen Parlamentes – und ohne das Europäische Parlament wäre dies nicht möglich gewesen, weil diese Kommission und dieses Europäische Parlament arbeiten enger zusammen als dies jemals der Fall war – auf den Weg geschickt. Dieser Investitionsplan wirkt. In 13 Ländern sind Projekte unterwegs und es werden täglich mehr. Dieser Investitionsplan heißt „Juncker-Plan“. Ich war nicht verrückt genug, diesen Plan „Juncker-Plan“ zu nennen. Es haben die diesen Plan „Juncker-Plan“ genannt, die davon ausgegangen sind, der Plan würde scheitern, weil es darauf ankam, denjenigen verantwortlich und namhaft zu machen, der an dem Scheitern beteiligt ist. Aber dieser Plan wirkt.
Ich bin strikt der Auflassung, dass wir den europäischen Binnenmarkt – eine der großen Erfolgsgeschichten europäischer Integration – vervollständigen müssen. Der Binnenmarkt ist nicht komplett, deshalb treten wir mit Nachdruck für einen europäischen Energiebinnenmarkt ein. Das ist ein wichtiges Thema. Europa importiert – die gesamte Europäische Union – für 400 Milliarden Euro Energie nach Europa. 53% unseres Energieverbrauches wird von außen gesteuert, wird außerhalb der Europäischen Union eingekauft. Mit 400 Milliarden Euro kann man viel Intelligenteres tun als sich in Abhängigkeit von anderen zu geben. Ich bin der Auffassung, das wurde eben angesprochen, dass wir eine digitale Revolution in Europa brauchen, einen digitalen Binnenmarkt. Wir müssen Schluss machen – weil wir große Rückstände aufzuholen haben – mit dieser totalen Fragmentierung, der europäischen Digitallandschaft. Wir haben 28 Regulatoren in der Europäischen Union. Nun gut, wir sind wichtig, wir sind groß, wir sind tüchtig. Aber wenn China mit einem Regulator auskommt, wenn die Amerikaner mit einem Regulator auskommen, wieso brauchen wir dann 28, wieso müssen wir diesen großen europäischen Binnenmarkt in 28 Teile aufsplitten, wenn es auch besser wäre, ein Regulator, würde die Regeln festlegen. Wenn ein junger Amerikaner oder ein junger Europäer, der sich genau deshalb nach Amerika absetzt, ein Projekt auf den Weg bringt, dann kann er das innerhalb von acht Tagen machen, hat alle Genehmigungen, hat freie Bahn. In Europa wird 28 Mal geprüft, mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen, ob dieses Projekt eigentlich tragfähig ist. Wenn ich nicht Luxemburger wäre, würde ich vor dieser Kleinstaaterei warnen. Es geht so nicht. Wer groß sein will, muss sich auch benehmen wie ein erwachsener Mensch, und wir brauchen in Sachen digitales Europa einheitliche Regeln, die überall in Europa zur Anwendung gelangen, anstatt dass wir immer wieder an nationale Grenzen stoßen.
Ich bin der Auffassung, dass wir eine europäische Kapitalmarktunion brauchen. Dies ist unabdingbar wichtig, auch und vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. Diese Totaldependenz vom Bankenwesen ist nicht von guten Eltern. Wir müssen uns da eher an amerikanischen Regeln inspirieren, als die nachzuahmen, aber wir brauchen eine Kapitalmarktförderung unternehmerischer Tätigkeit, und das werden wir tun. Wir brauchen mehr Binnenmarkt in Sachen Copyright, Urheberschaftsrechte: 28 verschiedene Systeme. Wie soll jemand klar kommen in Europa, der sich auf den Weg macht, die Dinge zu ändern, wenn wir 28 sehr divergierende nationale Systeme zur Anwendung bringen? Und ich könnte die Liste dieser Beispiele weiterführen.
Wir brauchen, ich sage das nicht gerne, weil das so blöd klingt – mehr Europa, das heißt wir brauchen mehr Vernunft, mehr gesunden Menschenverstand, von dem ich weiß, dass er sehr unterschiedlich in Europa verteilt ist. Wissen Sie, der gesunde Menschenverstand, der verfolgt die Regierungen, aber die Regierungen sind schneller. Also dort, wo ein geordnetes europäisches Gesamtspektrum, sowohl für die Nationalstaaten als auch für den europäischen Kontinent insgesamt, die Dinge in Bewegung bringt, brauchen wir eine zusätzliche Dosis an Europa. Dort wo mehr Europa, das Europa, das wir haben eher zu zerstören droht, brauchen wir weniger Europa. Ich mag diesen Satz nicht: Wir brauchen mehr Europa. Ich sage Ihnen, in vielerlei Hinsicht brauchen wir weniger Europa. Zu viel Europa tötet Europa. Das dürfte ich eigentlich nicht sagen, ich sage es aber trotzdem, weil ich tagtäglich erlebe, wie phantasiereich die Kommissionsdienststellen zu Werke gehen, wenn es darum geht, Dinge zu regeln, die Europa besser nicht regeln sollte. Und insofern täte mehr Bescheidenheit uns allen gut. Wir müssen uns auf wesentliche Prinzipien rückbesinnen.
Ich habe im Zusammenhang mit der Griechenlandkrise, die ich seit langen Jahren verfolge, weil ich auch Eurogruppen-„Obermufti“ war, während langen Jahren gesehen, dass dieser Solidaritätsgedanke nicht ausgeprägt ist und auch der Soliditätsgedanke in den sogenannten Programmländern nicht immer sehr ausgeprägt war.
Wir brauchen beides: Solidarität der einen und Soliditätsvorleistungen der anderen. Das haben wir im Falle Griechenlands gemacht und wir haben viel Zeit verloren, weil wir zu langsam zu Werke gegangen sind, und haben uns zu sehr beeindrucken lassen von Nebengeräuschen; auch in der überregionalen deutschen Presse im Übrigen. Ich habe es nie goutiert, dass man die Griechen sehr oft beschrieben hat als Faulpelze, als Nichtstuer, als Menschen, die nicht wissen, wo es lang geht.
Die Griechen haben unter schwierigsten Umständen eine große kollektive Leistung erbracht. Das hätten Sie nicht tun können ohne uns. Aber so zu tun, als ob die Griechen sich nicht angestrengt hätten; so zu tun als ob alle Griechen korrupt wären; so zu tun als ob alle Griechen das Gebot der Stunde nicht verstanden hätten, ist nicht der Sache dienlich gewesen. Man hätte die Griechen, und dann wäre vieles einfach gewesen, mehr respektieren sollen in öffentlicher Rede als dies sehr oft geschah. Ich war immer gegen Grexit, weil ich den Eindruck hatte, wenn wir das zulassen, dazu mussten die Griechen ihre Soliditätsvorleistungen erbringen, dann wird das auch andere ereilen, nicht nur kleinere Länder im Süden. Ich bin überhaupt dagegen, dass man die Europäische Union in Süd und Nord und Ost und West aufteilt. Das ist nicht der Zukunftslage angemessen.
Und auch in der Flüchtlingsfrage stelle ich fest, dass alte nationale Ressentiments doch sehr nahe an der Oberfläche schwingen. Das hat man in Sachen Griechenland gemerkt. Das merkt man auch jetzt wegen der mangelnden Solidaritätsbereitschaft einzelner EU- Länder in Sachen Umgang mit den Flüchtlingen.
Ich hatte es mir nie träumen lassen, dass man das Portrait der deutschen Bundeskanzlerin in Nazi-Uniform durch die Straßen von Athen trägt. Nach 60 Jahren europäischer Integration derartige Bilder, derartige Vorkommnisse. Und ich hatte es mir nie träumen lassen, dass einige derer, die nach der Wende in Mittel und – Osteuropa, die der Europäischen Union beigetreten sind, sich jetzt der essentiellen Solidaritätsleistung entziehen. Das geht so nicht.
Und ich sage Ihnen, weil ich weiß, dass das hier eine Debatte in Deutschland ist. Mir ist eine deutsche Bundeskanzlerin lieber, die sich den Problemen stellt – auch Herz zeigt. Ich hätte nicht gerne an der Spitze der deutschen Bundesregierung jemanden, der sagt – die Probleme des Rests der Welt interessieren uns nicht. Ich mag es sehr, dass Deutschland sich für die Probleme anderer interessiert und deshalb stehe ich fest an der Seite der Bundeskanzlerin in Sachen Flüchtlingsfrage, weil das eine enorme Leistung ist. Und dabei kann sie sich stützen auf ein unwahrscheinliches Maß an Hilfsbereitschaft in der deutschen Zivilgesellschaft. Das ist doch absolut, sehr beeindruckend. Und darauf könnte Deutschland und sollte Deutschland, stolz sein. Deutschland ist im Übrigen überhaupt nicht stolz genug auf seine Leistungen; und was in der Flüchtlingsfrage passiert, ist eine grandiose deutsche Leistung.
Aber andere müssen auch mitmachen. So geht das nicht – dass Schweden, dass Deutschland, dass Österreich, die Niederlande, in Teilen, die alleinige Last, wenn nicht die Hauptlast, tragen. Die anderen müssen mitmachen. Das ist ein Solidarwerk der Europäischen Union und wenn wir dieses Problem nicht in den Griff kriegen, wird die Europäische Union scheitern.
Dies ist eine Existenzfrage für den gesamten Kontinent. Also müssen alle mit anpacken und alle müssen Ihren Beitrag leisten. Und das tun sie nicht. Wir haben auf mehreren Gipfeln Beschlüsse gefasst, schwierigst, und nachdem wir diese schwierigen Beschlüsse gefasst haben, werden diese Beschlüsse nicht umgesetzt.
Wir brauchen Euro 2,3 Milliarden, dringende nationale bilaterale Haushaltshilfe, um den Problemen Heer zu werden. Wir brauchen für den Afrika-Treuhandfond Euro 1,8 Milliarden. Die Kommission hat geliefert- aus europäischen Haushaltsgeldern, das heißt von Ihren Steuergeldern. Die Nationalstaaten müssen dies auch tun. Wir sind nächste Woche auf Malta mit den afrikanischen Staaten, mit 33 Regierungskollegen treffen wir uns. Und wir schreiben dann den Afrikanern vor, wie Sie dazu beitragen können, die Flüchtlingskrise zu beheben – und wir sind nicht im Stande, das umzusetzen, was wir in Richtung Afrika beschlossen haben.
Das Welternährungsprogramm wurde brutal zusammengestrichen in den letzten Jahren. Wir haben jetzt als Europäische Kommission Euro 500 Millionen eingebracht, wir erwarten auch von den Mitgliedstaaten, dass sie dies tun. Wir haben aber nur Euro 277 Millionen und das ist auch nur ein Teil der Wahrheit, weil allein Großbritannien hat Euro 225 Millionen zur Verfügung gestellt, die anderen 27, Euro 50 Millionen. Wir reden viel über europäische Glaubwürdigkeit. Europäische Glaubwürdigkeit findet dann statt, wenn wir auch das liefern, was wir den Menschen versprechen. Nicht nur Gedichte und Betroffenheitslyrik vortragen, sondern wirklich auch liefern, damit die Dinge besser werden, als sie zurzeit sind. Frontex hat 775 zusätzliche Agenten, wie das im Brüsseler Beamtenkauderwelsch heißt, angefragt. 234 wurden bis jetzt geliefert. Wir brauchen 400 Polizeikräfte in Slowenien, Deutschland bringt fünf Mann auf die Beine. Also, ich bin sehr dafür, dass wir mutige Beschlüsse fassen. Aber ich wäre noch glücklicher, wenn diese Beschlüsse auch von den dementsprechenden Ergebnissen begleitet würden.
Einlagensicherung. Ich muss Sie da sehr enttäuschen. Ich habe gelesen, ich hätte in Passau vor drei Wochen gesagt, Genossenschafts- und Raiffeisenbanken könnten über eine Ausnahmeregelung verfügen. Ich hätte mir diesen Satz durchaus zugetraut, weil ich eigentlich die Genossenschaftsbanken, Sparkassen und Giroverbände und Raiffeisenbanken sehr mag. Es sind nicht die Raiffeisenbanken, die die Welt‑, Wirtschafts- und Finanzkrise ausgelöst haben. Es waren andere. Insofern geziemt es sich, dass man einen respektierlichen Umgang mit den Genossenschafts- und Raiffeisenbanken pflegt. Ich habe nur in Passau gesagt, ich habe es aber wirklich nachgelesen – weil ich traue mir alles zu – dass die Genossenschaftsbanken und die Raiffeisenbanken nicht in dem Maße von dieser Einlagensicherung berührt würden, wie andere Banken dies sein werden. Es ist keine Vergemeinschaftung – keine europaweite Vergemeinschaftung – der Einlagensicherungssysteme geplant. Was wir planen, aber das ist noch nicht spruchreif, ist nicht eine Risikovergemeinschaftung, sondern über den Weg der Rückversicherung dafür zu sorgen, dass wenn die nationalen Töpfe geleert sind, andere mit einspringen. Die Risikovergemeinschaftung wird nicht in der ersten Stufe dieser Vervollständigung der Bankenunion passieren, sondern wesentlich später. Vorbedingung ist, dass die nationalen Sicherungssysteme, die nationalen Sicherungstöpfe, bis oben hin gefüllt sind. Es kann ja nicht sein, dass ein Land nicht das tut, was Sie in Ihren Banken getan haben, und dann andere einspringen müssen, nur weil die nationale Einlagensicherung nicht funktioniert, weil sie nicht mit den entsprechenden Mitteln dotiert wurde. Also muss man abwarten bis zum 24. November. Die Kommission ist dabei, diese Vorschläge vorzubereiten, um im Detail zu sehen, wie das aussehen wird. Aber ich würde mir an Ihrer Stelle keine allzu großen Gedanken machen – also Gedanken sollten Sie sich schon machen, ich mache mir auch Gedanken. Es wird den nationalen Besonderheiten, den nationalen Bankenlandschaftsbesonderheiten, Rechnung getragen bei dem Vorschlag, den die Europäische Kommission vorlegen wird.
Im Übrigen bin ich der Meinung, – aber die zehn Minuten sind schon um, aber Sie sind immer noch da – dass es uns gut zu Gesicht stünde, nicht nur über die europäischen Fehlleistungen zu reden, davon gibt es wahrlich genug, das ist ein abendfüllendes Programm, sondern auch über die Erfolge der Europäischen Union und der Europäischen Integration zu reden; dass wir es auf diesem so geplagten Kontinent, diesem zwei Mal aufgewühlten Kontinent im 20. Jahrhundert, geschafft haben, aus Europa, einen dauerhaften Ort des Friedens zu machen, ist eine unwahrscheinliche Leistung. Wissen Sie, mein Vater war Soldat im 2. Weltkrieg – deutscher Soldat, weil die Wehrmacht Luxemburg überfallen hat, und Hitler verfügt hat, wahrscheinlich weil er den Deutschen nicht sehr viel zutraute, dass alle Luxemburger, zwischen ’20 und ’27 geboren, in die Wehrmacht einzutreten hatten. Ich habe von meinem Vater gelernt, dass es so etwas nie mehr geben darf. Und es hat es nie mehr gegeben – darauf sollten wir, vor allem die Deutschen, übermäßig stolz sein, weil die ganze Welt schaut uns mit bewundernden Augen zu, wenn wir über Europa reden. Aus Krieg haben wir Frieden gemacht.
Wir haben 19 nationale Währungen zu einer gemeinsamen Währung fusioniert. Hätten wir den Euro nicht gehabt, es wäre uns Schlimmstens ergangen während der Wirtschafts- und Finanzkrise. 19 Zentralbanken, 19 Regierungen, in alle mögliche Richtungen sich davon machend, ohne an das gemeinsame europäische Interesse zu denken, das wäre in einer Katastrophe gelandet. Wir befänden uns heute in einem innereuropäischen Währungskrieg, wenn wir den Euro nicht hätten. Wir haben den stärksten und größten Binnenmarkt der Welt, wir sollten die Möglichkeiten dieses Binnenmarktes nutzen. Und wir sollten nie vergessen, dass wir ein sehr kleiner Kontinent sind. Wir sind der kleinste Kontinent der Welt. 5,5 Millionen Quadratkilometer, das ist die Europäische Union. Russland, unser Nachbar, mit dem man auf Augenhöhe reden muss, 17,5 Millionen Quadratkilometer. Wir sind ein kleiner Kontinent. Unser relativer Anteil an der globalen Wertschöpfung fällt auf 15 Prozent in den nächsten Jahren. Am Anfang des 20. Jahrhunderts hat es 20 Prozent Europäer weltweit gegeben. Jetzt noch sieben, am Ende des Jahrhunderts 4 Prozent Europäer auf 10 Milliarden Menschen. Wir sind ein kleiner Kontinent und wir sind nicht am Ende unserer Aufgaben angelangt. Solange jeden Tag, 25,000 Kinder den Hungertod sterben, solange ist Europa mit seiner Aufgabe nicht fertig. Ich danke.
Mit freundlichen Grüßen
Bund der Selbständigen
Deutscher Gewerbeverband
Wolfgang Stern