Forderungspapier zur Altersvorsorge für Selbständige/Rentenversicherungspflicht für Selbständige
1) Bei der Wahrheit bleiben: Die Scheindiskussion um die besondere Altersarmut der Selbständigen muss beendet werden
Weder die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebene Studie „Solo- Selbständige in Deutschland – Strukturen und Erwerbsverläufe“1 vom Mai 2016 noch Zahlen des Instituts der Deutschen Wirtschaft2 belegen, dass bei Selbständigen im Alter eine erhöhte Armutsquote besteht. Vielmehr lässt sich anhand der Zahlen des Instituts der Deutschen Wirtschaft nachweisen, dass mehr als viermal so viele Angestellte, die in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, im Alter vermögenslos sind, wie Selbständige, die ihre Altersvorsorge selbst in die Hand genommen haben. Modellrechnungen zeigen, dass bei Selbständigen die Altersarmutsquote sogar steigen würde, wenn man sie zur Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung verpflichten würde. Das Problem der Altersarmut bei Selbständigen ist somit kein Massenphänomen, sondern betrifft nur einen kleineren Teil der Selbständigen. Für diesen Teil der Selbständigen müssen gezielt Lösungen gefunden werden. Für Altersarmut sind verschiedene Faktoren entscheidend. So zeigt sich, dass Menschen die in Branchen mit schlechter Vergütung arbeiten, im Alter finanzielle Schwierigkeiten haben. Dies ist unabhängig von der Beschäftigungsart. Ein weiterer Faktor ist die Qualifizierung. Insbesondere Menschen ohne berufliche Ausbildung haben ein erhöhtes Risiko für im Alter arm zu sein. Umso geringer die Menschen qualifiziert sind, umso höher ist das Risiko der Altersarmut.
2) Das Rentenmodell reformieren statt immer wieder neu reparieren
Die auf dem Kopf stehende Alterspyramide lässt kein ausschließliches Umlagemodell im Rentensystem allein über die Rentenversicherung mehr zu. Die Pflichtaufnahme von Selbständigen ist nur eine Verschiebung von Finanzierungsproblemen in die Zukunft und vergrößert eher die Probleme. Mut zur Reform ist jetzt gefragt. Unter den gegebenen demografischen Umständen mit weniger jungen Einzahlern, steigender Lebenserwartung und damit längeren Auszahlungsphasen muss das aktuell vorhandene Rentensystem schon aus rein mathematischen Gründen umgestaltet werden. Die geplante Hinzunahme von Selbständigen verschiebt und verschärft die Finanzierungsprobleme. Notwendig ist eine grundlegende Reform.
3) Alternativen zur gesetzlichen Rentenversicherung mit Wahlrecht schaffen
Für Selbständige muss es neben der Rentenversicherung ein Wahlrecht zur Einzahlung auch in andere − privatwirtschaftlich organisierte − Altersvorsorgeangebote geben. Die Erfahrung zeigt, dass die aktuelle gesetzliche Rentenversicherung im Vergleich zu privatwirtschaftlich geführten Vorsorgemodellen längerfristig deutlich weniger Ertrag erwirtschaftet. Es kann selbständigen Unternehmern nicht zugemutet werden, die eigenverantwortlich aufgebaute Altersvorsorge aufzugeben und pauschal in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Deshalb sollten Alternativen möglich sein, beispielsweise die Ausweitung auf Versorgungskassen auch auf andere der selbständigen Berufe, die geschützt sind vor staatlichen Eingriffen sind. Selbständige sind es gewohnt mit persönlichen Risiken zu arbeiten und diese abzusichern. Deshalb muss es ihnen freigestellt bleiben, ob sie in das staatliche System mit womöglich niedrigerer Auszahlung und auch kleinerem Risiko oder in eine privatwirtschaftlich geführte Altersvorsorge mit erwartungsgemäß höheren Renten und auch größerem Risiko einzahlen. Die Selbstbestimmung der Selbständigen ist für das Leben im Alter zu wahren.
Quellen:
- Brenke, K. & Beznoska, M. (2016). Solo-Selbständige in Deutschland – Strukturen und Erwerbsverläufe (Forschungsbericht 465, Berlin: DIW ECON. ISSN 0174–4992)
- Niehues J. & Pimpertz J. 20.09.2012. Kein Königsweg in Sicht. Institut der Deutschen Wirtschaft Köln. Verfügbar unter: http://www.iwd.de/artikel/kein-koenigsweg-in-sicht-89770/
4) Selbständigkeit muss ein rechtssicherer Status werden
Die aktuelle Rechtslage stellt Selbständige unter den Generalverdacht der Scheinselbständigkeit. Das ursprüngliche Ziel der Gesetzgebung zur Scheinselbständigkeit war, dass Selbständige sozial abgesichert sind. Der Nachweis der Renten‑, Kranken- und Pflegeversicherung oder vergleichbaren privaten Formen der Absicherung soll künftig ausreichen, um einen Sozialstatus als „echter“ Selbständiger im Sinne des SGB IV und neuerdings des §611a BGB zu begründen. Dadurch wird auch für zukünftige Aufträge Rechtssicherheit für Auftraggeber wie Auftragnehmer geschaffen. Die Statusfeststellung wird durch den Nachweis der Altersvorsorge und Krankenversicherung ersetzt.
5) Selbständigkeit wird durch eine Rentenversicherungspflicht weiter erschwert
Die Zahl der Selbständigen in Deutschland ist rückläufig3. Viele Menschen scheuen den Schritt in die Selbständigkeit. Dies liegt vor allem am finanziellen Risiko. Bereits heute sind die hohen Mindestbeiträge für Selbstständige zur gesetzlichen Krankenversicherung – insbesondere für Existenzgründer und Teilzeitselbstständige – eine starke Belastung, die den Aufbau einer Altersvorsorge erheblich erschwert. Das liegt an den nach unten gedeckelten Einzahlungen, die nicht prozentual über die tatsächlichen Einkünfte, sondern über ein Fixum vorgegeben werden. Eine Rentenversicherungspflicht unter ähnlichen Voraussetzungen würde die Hürde für Gründer weiter erhöhen. Im Gegensatz zu abhängig Beschäftigten, deren Arbeitgeber sowohl einen Teil der Krankenversicherung als auch der Altersvorsorge übernimmt, müssen Selbständige für beide Beitragsanteile vollumfänglich selbst aufkommen. Selbständige sind daher für das Tragen der „Arbeitgeberanteile“ in angemessener Weise zu entlasten.
6) Besonderheiten im Selbständigen-Einkommen durch Flexibilisierung berücksichtigen
Schwankende Einkommen der Selbständigen müssen beim Aufbau der Altersvorsorge berücksichtigt werden. Die Einnahmen eines Selbständigen unterliegen üblicherweise starken Schwankungen, je nach Auftragslage. Ebenfalls während der ersten Jahre einer Existenzgründung kann der Selbständige meist gar nicht oder nur in geringem Umfang über freies Kapital verfügen, auch weil er neben der Altersvorsorge noch für die hohen Mindestbeiträge zur Krankenversicherung vollumfänglich selbst aufzukommen hat.
Der Aufbau der Altersvorsorge muss für Selbständige daher so flexibel gestaltbar sein, dass in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine Reduzierung der Beiträge zur Altersvorsorge stattfinden kann. In wirtschaftlich guten Zeiten müssen die entsprechenden Reduzierungen ausgeglichen werden. Die Gründungsbereitschaft und das damit eingegangene persönliche Risiko sind im Sinne einer Stärkung des Mittelstands und der damit verbundenen Schaffung von Arbeitsplätzen von staatlicher Seite zu unterstützen
Quelle:
- Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2016). Unternehmensgründungen und Gründergeist in Deutschland. Verfügbar unter: http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/F/factbook-gruenderland- deutschland,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf
7) Freistellung bei Nachweis ausreichender Eigenvorsorge bzw. Vermögen
Selbständige mit für die Altersabsicherung ausreichendem Vermögen und/oder laufenden Erträgen aus Vermögen sind von der verpflichtenden Altersvorsorge auszunehmen. Es gibt viele Arten der Selbständigkeit, angefangen vom Solo-Selbständigen bis hin zu Unternehmern mit vielen Beschäftigten. Gerade besser verdienende Selbständige sind oft in der Lage sich frühzeitig privates Vermögen, zum Beispiel in Form von Immobilienbesitz, Beteiligungen, Wertpapieren oder Lebensversicherungen aufzubauen. In der Regel werden die Erträge daraus auch zur späteren Altersabsicherung verwendet. Diese Form der frühzeitigen Eigenverantwortung muss honoriert werden, da sie ein wesentlicher Bestandteil der Selbständigkeit und mit erhöhtem privaten Risiko verbunden ist.
Selbständige, die nachweislich auf andere Art und Weise ausreichend für ihr Alter vorgesorgt haben oder die Ertragsvermögen nachweisen können, das für die fortlaufende Altersabsicherung ausreicht, sollten nach Erreichen der Grundsicherung von der Pflicht zur Vorsorge und dem Anteil der betrieblichen Altersvorsorge befreit werden bzw. diese auf freiwilliger Basis bezahlen können.
8) Verwertungssicherheit von Vorsorgevermögen im Insolvenzfall
Privatvermögen sollte im Insolvenzfall vor Verwertung geschützt werden, soweit es zur Altersvorsorge beiträgt. Sofern Selbständige mit Privatvermögen für ihr Alter vorsorgen, ist dies derzeit im Falle einer Insolvenz, die betriebliche Insolvenz zieht meist die private Insolvenz nach sich, meist vollständig verloren. Die Altersvorsorge fällt an die Gläubiger und den Insolvenzverwalter. Der Selbständige wird im Alter mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Grundsicherung angewiesen sein. Dies gilt es zu verhindern. Im Insolvenzfall sollte für den Teil des privaten Vermögens, der notwendig ist, um die Grundsicherung im Alter sicherzustellen, eine Verwertungsfreiheit bestehen. Im Zweifelsfall dürften ertragsbringende Vermögensobjekte nicht verwertet werden. Stattdessen sollte nur der über den Anteil der Grundsicherungsfinanzierung hinausgehende Ertrag − ggf. auch über die Wohlverhaltensphase hinaus − der Insolvenzmasse zufallen. Soweit Vermögen, Erträge oder Ansprüche unter den Verwertungsschutz fallen, bedarf es einer Zweckgebundenheit dieser Werte zur Altersvorsorge.
9) Eine Rentenversicherungspflicht ist für Selbständige nur in einer gesamtgesellschaftlichen solidarischen Rentenversicherung denkbar
Es gibt nur einen Grund, um Selbständige zur Zahlung in die gesetzliche Rentenversicherung zu verpflichten: Die Umstellung auf eine gesamtgesellschaftliche solidarische Rentenversicherung, unter Einbeziehung aller anderen bisher nicht verpflichteten Berufsgruppen, einschließlich Beamten und Abgeordneten. Angesichts der vorhandenen Alterssicherungsmodelle für Beamte, Abgeordnete und Selbständige bedarf dies jedoch einer langfristigen und umsichtigen Umstellungsphase und setzt eine grundsätzliche Reform des Rentensystems voraus.
10) Mögliche Lösung: Drei Absicherungssäulen mit Eigenverantwortung – Cappuccino-Modell
Das erfolgreiche Schweizer 3‑Säulen-Modell ist eine gute Grundlage für die Reform der deutschen Altersvorsorge. Es bezieht neben den Selbständigen auch Beamte und Abgeordnete in die Pflicht-Grundabsicherung ein.
Wie unter Punkt 2) dargelegt, bedarf es einer generellen Reform des Rentensystems. Neben der Pflicht zur Grundabsicherung für das Alter kommen jeweils ein betrieblicher und ein privater Anteil zur Alterssicherung, der den Versicherten eigenverantwortlichen Gestaltungsspielraum einräumt.
Die erste Säule (im Cappuccino-Modell der Kaffee als Basis) ist der Pflichtanteil – er sichert den Mindestlebensstandard im Alter ab. Selbständige ab einem bestimmten Mindesteinkommen müssen die freie Wahl haben, ob sie die erste Säule über die staatliche Rentenkasse abdecken oder in eine privatwirtschaftlich geführte Kasse einzahlen (ähnlich gesetzlicher und privater Krankenversicherung).
Die zweite Säule (der Schaum auf dem Kaffee) wird durch eine – ab einem bestimmten Mindesteinkommen verpflichtende – betriebliche Altersvorsorge gebildet. Sie dient der Absicherung des erhöhten Lebensbedarfs im Alter, der zum Beispiel gesundheitlicher Einschränkungen geschuldet ist. Für die betrieblichen Vorsorgekassen besteht Wahlfreiheit auf dem Markt der privatwirtschaftlichen Angebote, wobei diese bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllen müssen, wie zum Beispiel eine Mindestrendite und den Insolvenzschutz über einen Sicherungsfonds.
Die dritte Säule (der Kakao auf dem Milchschaum) ist die freiwillige private Vorsorge. Sie dient dem Lebensstandard, der über eine Grundabsicherung hinausgeht.
Ein solches Modell fördert die Eigenverantwortung, entlastet die Rentenkasse und sichert die Zukunft der Altersvorsorge in Deutschland.
Das Forderungspapier zur Altersvorsorge für Selbständige/Rentenversicherungspflicht für Selbständige haben gezeichnet:
Ansprechpartner:
- Ingolf F. Brauner
Vorsitzender AG Altersvorsorge des BDS Deutschland Präsident mib – Mittelstand in Bayern Vereinigung der Selbständigen und mittelständischen Unternehmer in Bayern e.V. Telefon: 08191 / 96 55 87 E‑Mail: ingolf.brauner@mibbayern.de - Tim Wiedemann
Referent für Politik und Kommunikation beim BDS Deutschland Telefon: 030/72625670 E‑Mail: tim.wiedemann@bds-rlp.de